Schwärze. Nur eine warme männliche Stimme hört Timotheus Pietersen, die ruhig und salbungsvoll zu ihm spricht:
Wach auf, mein Kind. Wach auf aus deinem Irrtum und höre die Prophezeiungen, die ich dir kundtun werde. Sei dir gewiss, dass eine größere Ehre nur wenigen zuteil geworden ist. So merke denn auf: drei Zyklen. Drei Zyklen und sieben und die Menschheit wird erneut aufleben. Doch nicht im alten Fleisch. Es ist der neue Mensch, dem die Welt gehören wird, eine Rasse rein von Blut und Gedanken. Merke auf die Worte des Adepten...Timpy...Timpy...Timpy...
...
Timpy, wach auf!
Brüllt ihm eine ganz andere Stimme ins Ohr. Tim reißt die Augen auf und hat mit einemmal wieder alle Sinne beisammen. Durch die Gasmaske blickt er in das Gesicht eines jungen Marauders, gepiercet, tätowiert und mit ungepflegtem Haar.
Hey Mann, da bist du ja. Hast du dir was getan? Ist alles in Ordnung mit dir?
Langsam kommt die Erinnerung wieder und mit ihr ein dumpfer Schmerz in Kopf und Gliedmaßen. Tim ist schwach, doch gelingt es ihm sich unter Schmerzen zu bewegen. Scheinbar ist noch alles dran und funktionsfähig. Leicht dreht er den Kopf und blickt auf das Wrack des Geländewagens, das wie ein Maikäfer auf dem Rücken im Dreck liegt, nahezu sämtliche Ausrüstung und die Kisten von der Ladefläche liegen verstreut in der Umgebung, vieles scheint beschädigt oder gar nicht mehr zu gebrauchen. Drumherum haben sich mehrere bis an die Zähne bewaffnete Männer und Frauen
postiert, die abwechselnd ihn und die Umgebung argwöhnisch mustern. Sie scheinen Marauder zu sein, wie der junge Mann, der ihn wohl aus seinem Auto gezerrt hat. Tims Genick knackt leicht, als er den Kopf wieder nach oben dreht und seinen Retter anblickt. Nun erkennt er auch das Gesicht wieder.
Mark? Was machst du hier...wie habt ihr mich? Ich dachte du...
Timotheus versucht sich aufzurichten, schafft es aber nicht allein. Der Angesprochene, offensichtlich Mark, und ein weiterer Marauder - ein großer breitschultriger Glatzkopf in Lederkluft, der über die Schulter einen Patronengurt und über dem linken Auge eine Augenklappe trägt - helfen ihm auf die Beine. Dann nickt Meister Proper in Richtung eines
Grüppchens von drei Leuten, die noch auf ihren Quads sitzen und bellt knapp:
Umgebung absichern!
Zwei der anderen befiehlt er:
Hier bleiben! Die anderen fangen an zu bergen!
Mark lächelt unterdessen aufmunternd.
Oh
Mann, Alter, kein Kratzer, da hast du aber Schwein gehabt. Sogar doppelt Schwein: wir waren hierhin unterwegs um dich zu suchen und da haben wir deinen Notruf aufgefangen. Komm mit, wir raffen zusammen was den Crash überlebt hat und dann bringen wir dich zu den anderen. Die werden froh sein, dass du noch lebst. Hast du inzwischen was Brauchbares rausgefunden?
Tim hat noch immer Mühe, sich zu orientieren. Mühsam verarbeitet er die gesprochen Worte und blickt den gegenüber fragend an:
Die anderen? Sie sind noch am Leben? Ich dachte ich wäre der Letzte...und du: warum hast du uns damals im Stich gelassen und bist einfach verschwunden? Wir waren angewiesen auf deine Fähigkeiten als Scout. Wegen dir wäre beinahe alles schief gegangen! Wegen dir ist Omar tot!
Er klingt zunehmend ärgerlich, während er in seinen Erinnerungen kramt: das plötzliche Abtauchen des Scouts vor einem halben Jahr, die Rat- und Orientierungslosigkeit der Expedition die darauf folgte und schließlich der schwerwiegende Entschluss, sich zu trennen, um in Zweiergrüppchen nach den Zielorten zu suchen und so die Chancen auf einen Erfolg zu erhöhen. Wären sie noch zu siebt gewesen, hätten sie sich besser gegenseitig schützen können und der mutierte Wolf hätte seinen engen Freund und Begleiter nicht anfallen und verwunden können. Tapfer hatte der Biologe mehrere Tage lang gerungen, doch schließlich hatte ihn die Entzündung durch den verseuchten Geifer des Tieres unter die Erde gebracht. Und das sehr qualvoll. So schreit Timotheus den letzten Satz. Einer der Marauder, die sich in der Nähe aufgebaut haben, scheint nervösnzu werden und nimmt unruhig die Kalaschnikov in beide Hände, die er zuvor lässig mit einer Hand über die Schulter nach hinten gelegt hatte. Ein kurzer strenger Blick vom glatzköpfigen Anführer und er lässt die Waffe baumeln, dabei bemüht zu lächeln. Während Mark noch erschrocken über die Anschuldigung nach Luft ringt, setzt Tim etwas ruhiger aber noch immer aggressiv hinzu:
Und wer sind die da?
Mark fängt sich wieder, er beugt sich etwas zu Tim hinüber und spricht leise und beschwichtigend:
Maaann, beruhig dich, alter. Du stehst noch voll unter Schock. Hey, das sind Freunde. Freunde von mir, quasi meine Familie und ohne sie wärst du jetzt echt am Ar*** Ich weiß nicht wer das da vorhin war und was die vorhatten, aber eins ist sicher: ohne uns wärst du jetzt mausetot. Also vertrau den Jungs und Mädels, klar? Was uns beide angeht: ey, es tut mir echt leid. Mann, das ist nicht mein Krieg hier, ich brauche meine Freiheit und die habe ich mir mal zwischendurch genommen. Verdammt, wenn ich Omar zurückholen könnte, ich würde beide Hände dafür geben. Sorry
Alter. Aber jetzt müssen wir nach vorne schauen und dich und die Daten sicher nach Hause bringen. Es gibt im Labor wohl viel zu tun. Du hast doch alles ordentlich aufgezeichnet?
Tim beruhigt sich tatsächlich ein wenig. Natürlich hatte der Marauder nicht die Schuld an Omars Tod, doch in diesem Moment wollten sich all die angestaute Angst und Enttäuschung einfach entladen.
Klar hab ich das. Komm mit.
Tim geht noch immer etwas wackelig auf den Beinen in Richtung des Wracks, beugt sich hinein und zieht das Tablet heraus, dessen Display durch den Crash einen Riss hat, doch noch funktioniert.
Hier ist alles drauf.
Tim dreht sich um und legt es in Marks ehrfürchtig vorgereckte Hände. Der Glatzkopf und seine beiden Wachhunde sind ihnen neugierig gefolgt und der Anführer schaltet sich nun mit sorgenvoll verzogenen Augenbrauen wieder in das Gespräch ein.
Wie, nur ein Datenträger? Keine Sicherungskopie? Das ist mehr als fahrlässig...
Er klingt streng und vorwurfsvoll, als wisse er, wie schwerwiegend ein Verlust der sensiblen Informationen wäre. Tims Kopf brummt noch immer ein wenig von dem Aufprall und auch ansonsten baut sich sein Denkvermögen nur langsam wieder auf. Unter anderen Umständen hätte er wohl anders geantwortet, doch jetzt sagt er über einen ganz unterschwelligen Zweifel hinweg mit bedeutungsvollem Tonfall:
Natürlich habe ich eine Kopie...da drin!
Er tippt sich an die Schläfe und zwinkert, obwohl er weiß, dass die anderen beiden das nicht sehen können. Und in diesem Moment denkt er sich: was bist du doch für ein Idiot!
Hehe, nur da drauf und in deinem Kopf?
Fragt der Anführer der Marauder ungläubig und belustigt nach und wechselt dabei den Blick zwischen Tim und Mark. Letzterer grinst auch und schüttelt den Kopf.
Das ist ziemlich dämlich.
Stellt der Glatzkopf mit der Augenklappe fest, zieht eine Pistole aus seinem Gürtel und feuert Tim eine Kugel durch die Gasmaske direkt in den Kopf. Der fällt um wie ein Sack Zement und bleibt leblos im Staub liegen. Während sich der Turban um das Einschussloch langsam rot färbt, plündern die Marauder hastig den Geländewagen. Mark kniet eine kurze Weile mit geschlossenen Augen über dem Körper und beißt sich dabei in die geschlossene Faust. Dann schüttelt er sich, steht auf und besteigt sein Quad um mit den anderen den Schauplatz zu verlassen.
Das Radar des havarierten Fahrzeuges zeigt kurz danach, wie sich das kleine Grüppchen von Quads auf seinem Weg nach Osten mit einer zweiten Fahrzeuggruppe vereinigt, bestehend aus fünf roten blinkenden Punken.
[OT: Hoppla, etwas viel geworden
]